
Das Ruhr Museum schreibt über seinen jüngst herausgegebenen Bildband:
Das Thema Heimat ist momentan höchst aktuell und das Ruhrgebiet in diesem Zusammenhang ein Fallbeispiel der besonderen Art: Hier verändert die „alte Heimat“ sich fundamental durch das endgültige Ende des Bergbaus.
„Heimat“ ist ein Bildband, der die immer noch allgegenwärtigen Klischeebilder vom Revier durch überraschende Sichten unterwandert und Räume für individuelle Erinnerungen und Assoziationen öffnet. Das Konzept von „Heimat“ geht von Begriffspaaren aus, die spontan mit dem Revier assoziiert werden. Kapitel wie „dreckig und sauber“, „heiß und kalt“, „oben und unten“ handeln zwar naturgemäß von Bergbau und Industrie, vom Alltag mit Wohnen und Arbeiten, Konsum und Freizeit – aber durch Art, Auswahl und Zusammenstellung der Fotografien werden ganz ungewohnte neue Bildwelten von der vertrauten „alten“ Heimat erzeugt.
Der Fundus im Fotoarchiv des Ruhr Museums spielt dabei eine wesentliche Rolle: Neben journalistischer Fotografie finden sich Auftragsarbeiten zur Dokumentation von Stadt-, Industrie- und Firmengeschichte ebenso wie Werbeaufnahmen für verschiedenste Produkte. Hier sind deshalb nicht nur die gängigen Motive der Ruhrgebietsgeschichte überliefert, sondern es sind auch viele spannende Entdeckungen zu machen. Dafür liefert „Heimat“ zahlreiche Beispiele.
Dr. Sigrid Schneider war nach Universitäts- und Rundfunktätigkeit bis 2012 für den Aufbau und die Leitung der Fotografischen Sammlung im Ruhr Museum in Essen zuständig. Neben Projekten und Publikationen zur Fotografie hat sie zahlreiche Ausstellungen kuratiert, unter anderem zur Nachkriegsfotografie, zu den 1960er Jahren, zur Ikonographie des Ruhrgebiets, zum Verhältnis von Realität und Abbild, außerdem mit einer CD und einem Katalog erste systematische Überblicke über die Sammlung des Fotoarchivs vorgelegt.
In der heutigen Zeit fast schon überstrapaziert, dennoch gerne bemüht: das Wort „Heimat„. „Wir wollten bewusst diesen Begriff nicht dem dunklen rechten Spektrum unserer Gesellschaft alleine überlassen.“ deshalb, so der Direktor des Ruhr Museum Theodor Grütter, der dieses Wort als „kontaminiert“ in den Nachkriegsjahrzehnten Deutschlands bezeichnet, habe man den Titel des Bildbands so gewählt. Dass das opulente Buch noch rechtzeitig vor Weihnachten den Weg in den Handel gefunden hat, freut Grütter ebenso wie die Herausgeberin Sigrid Schneider und selbstverständlich den Verleger vom Klartext Verlag Achim Nöllenheit.

227 Bilder aus einem Zeitraum von 1867 bis 2009 von insgesamt 53 zum Teil renommierten FotografInnen zeichnen das Bild vom Revier in diesem Band. Dass ich die zeitgenössischen Werke nicht sofort als zeitgenössisch identifiziere, liegt vielleicht auch an meiner voreingenommenen Sehweise aufs Revier. Chargesheimer ist tot, es lebe Chargesheimer, so dämmerts mir im Unterbewusstsein bei der Suche nach einem neuen und zeitgemäßen Bild des Ruhrgebiets. Nun ist es nicht Aufgabe einer historischen Sammlung, und so nennt sich das Fotoarchiv im Ruhr Museum zu Recht, tagesaktuelle Bildmotive oder aktuelle Arbeiten von Fotokünstlern dieser Region zu veröffentlichen. Es wird zwar von einem Brückenschlag zwischen den allzu vertrauten Motiven und möglichen modernen Bildinterpretationen einer keineswegs einheitlichen Region gesprochen, der Verweis auf das stetig wachsende Nachbar-Archiv „Pixelprojekt Ruhrgebiet“ befriedigt meine Erwartung allerdings nicht. Diese lobenswerte Initiative, 2003 von Fotograf Peter Liedtke gegründet, beschreibt zwar auch einen Wandel der Fotografie adäquat zum Wandel des Reviers. Es finden sich allerdings auch hier viel zu viele Klischee-Bilder á la Chargesheimer, ob nun von älteren oder jungen FotokollegInnen. Die allzu vertrauten Motive von Taubenzüchtern, Fußballvereinen, Kinderhilfsorganisationen, Migrationsfamilien, verstauten Schnellstraßen und einer vermeintlich zeitlosen Büdchenkultur reißen nicht ab und zeichnen immer noch ein Bild vom Revier, das längst überholt scheint. Da helfen auch wenig die Bilder anderer Publikationen der Hamborn-Bruckhausener Brautläden oder die Straßenfotografie nächtlicher Handyfotos mit vermeintlichen Clanstrukturen. Genau so wenig, wie die Bilder von Till Brönner (MELTING POTT).

„Um nicht das immer Gleiche abbilden zu müssen, sind die Fotografen gezwungen, eigene innovative Sichtweisen zur Repräsentation des gegenwärtigen Ruhrgebiets zu finden, wenn sie nicht im Dilemma des Selbstreferentiellen, der endlosen Wiederholung der bekannten Bildmuster verharren wollen.“ betont Sigrid Schneider im spärlichen Nachwort. Das empfehle ich allen Foto-KollegInnen auch, nicht ganz sicher, ob dieses Dilemma in dem vorliegenden Bildband behoben ist. So ist es nun an uns, so wir das Buch Heiligabend unter dem Christbaum finden, zu entscheiden, ob wir uns mit diesem Bild vom Ruhrgebiet identifizieren können und ob wir einen Wandel im Ruhrgebiet jetzt besser begreifen. Und dabei sollte es keine Rolle spielen, ob wir das Ruhrgebiet kennen oder nicht. Es wäre ja vielleicht auch ein passendes Weihnachtsgeschenk für meine Freunde in Berlin oder München, die wiederum ihr gänzlich eigenes Verständnis von Heimat haben. k.e