HOFGARTEN IM WINTER

Eine Huldigung für HEINRICH HEINE und die Fotografie des 19. Jahrhunderts

Heinrich Heine, *13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf, Herzogtum Berg; †17. Februar 1856 in Paris; einer der wichtigsten deutschen Dichter, Journalisten und Schriftsteller.

Ich bemühe das Pathos nur ungern, aber es passt mal wieder wie Faust aufs Auge: Alles im Leben hat zwei Seiten!

Bei allen Widrigkeiten, die mir die bald einjährige Coronapandemie beschert, hat sie auch eine A-Seite, ein gutes. Bestimmt werden meine Gedanken eher vom einsamen Sterben, von bedrohten Existenzen, von lebensbedrohlicher Krankheit, von sozialer Vereinsamung verbunden mit depressiven Stimmungen, von mangelnder Bewegungsfreiheit, von Verboten erholsamen Reisens.

HOFGARTEN IM WINTER

Und doch bringt mir diese höchst ungewohnte Art der Entschleunigung mit ein wenig guten Willen auch längst vergessene Vorzüge. Denn auch am sonnenreichen Wochenende sind die Parks in der Stadt nur mäßig besucht. Der übliche Trubel bleibt unspürbar. Begegnungen mit anderen Menschen sind rar. Die tradierte Ablenkung in Form von Straßenlärm, Gedrängel mit Fußgängern, E-Roller-Rasern, Alt-Herren-Bikern, Kinderwagen-Korsi. Alles lässt sich gut vermissen. Und so finde ich wieder mehr zu mir selbst, finde gar längst verborgene Begehrlichkeiten und kann diese ungeniert hervorholen und ausleben.

HOFGARTEN IM WINTER

Ich kann auf einmal wieder gern erinnern, ich gestatte mir, kreativ zu sein, ich komme zur Besinnung. Was für wunderbare Gedanken, die ich fast verloren hatte. Und so erfahre ich die Chance, meine Welt ein wenig neu, ein wenig wieder zu entdecken. Und ich kriege Bilder in den Kopf, die ich nur noch aus alten Fotoalben in Erinnerung habe. Aber jetzt sind sie auf einmal real. Ich spüre Kälte im Schatten, aber auch Wärme in der winterlichen Sonne, ich rieche den Wald und die Natur auf eine Weise, die ich fast nicht mehr kannte. Der Schnee knirscht laut unter den Schuhen, und lange Schatten der Wintersonne zeichnen Bilder in den Schnee, die meine Phantasie beflügeln.

HOFGARTEN IM WINTER

Die Aufmerksamkeit für die Vögel im Park, die ungestört nach Nahrung suchen, lässt mich zum Kind werden, das neugierig seine Welt begreifen lernt. Ich möchte die Vögel anfassen und stolpere unbeholfen hinter den flüchtenden Enten her. Und dann nehme ich meine Kamera und möchte diese Erfahrung einfangen, einfrieren, vielleicht für den nächsten heißen Sommer, um mich dann an den eisigen Erinnerungen besser erfrischen zu können. Und ich denke auf einmal an die vielen Bilder in meinem Kopf die ich erfahren hatte, als ich mich Mitte der siebziger Jahre für die Fotografie erwärmte.

HOFGARTEN IM WINTER

Schwarzweißaufnahmen, schattenreich, mit hohen Kontrasten, unwirklichen Formen, durch Ausschnitt ästhetisierte Bilder von Parks, zumeist aus Paris. Dabei denke ich an die längst vergangenen Zeiten, die ich selber gar nicht miterleben konnte. Das war lange vor meiner Zeit. Diese Bilder, die mir jetzt durch den Kopf gehen, stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie muss das damals gewesen sein? Vielleicht genauso, wie heute, beim winterlichen Spaziergang im Hofgarten.

HOFGARTEN IM WINTER

Und zuletzt kommt mir Heinrich Heine in den Sinn. Der schafft es häufig, mir beim Lesen seiner zeitlosen Gedichte und Erzählungen ein Lächeln abzuringen, auch wenn ich nicht immer ganz die Intention seiner Prosa verstehe. Sein kleines Gedicht Winter aus dem Jahre 1851 bringt meine Phantasien und Gedanken in nur wenigen Zeilen in eine genüssliche Form. Das Gedicht Deutschland. Ein Wintermärchen des Reisprofis Heine aus dem Jahre 1844, in dem er satirisch und bissig gegen das politische und gesellschaftliche Deutschland textet, lässt den Vergleich zu heutigen Denkweisen in unserer Gesellschaft nahelegen.

Ich fühle mich auch lange nach meinem Spaziergang für einen Moment in eine längst vergessene Zeit zurückversetzt. Meinen Spaziergang machte ich in Deutschland, aber es war kein Wintermärchen, es war real und trotzdem wunderbar.

Dieses Erlebnis zeigte mir die zweite Seite der Pandemie – die gute –, als ich das gerade nur zuließ.

Karsten Enderlein, im Februar 2021


Winter (1851)

Die Kälte kann wahrlich brennen
Wie Feuer. Die Menschenkinder
Im Schneegestöber rennen
Und laufen immer geschwinder.

Oh, bittre Winterhärte!
Die Nasen sind erfroren,
Und die Klavierkonzerte
Zerreißen uns die Ohren.

Weit besser ist es im Summer,
Da kann ich im Walde spazieren,
Allein mit meinem Kummer,
Und Liebeslieder skandieren.

HOFGARTEN IM WINTER – Huldigung für Heinrich Heine, Fotos: © 2021 k.enderlein FOTOGRAFIE

Alle vertikalen Sehbilder aus dem Düsseldorfer Hofgarten finden Sie in den SCHUBLADEN meines Archivs hier.


2 Gedanken zu “HOFGARTEN IM WINTER

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s