WIE WIR MITEINANDER LEBEN – Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im K21 Düsseldorf, bis zum 19. April 2026

Aus der Pressemappe anl. der Ausstellungsvorbesichtigung am 27. Oktober 2025:
Wohnen, Besitzen, Bewahren und Teilen – eine Ausstellung im K21 widmet sich der Frage, wie gerechtes Zusammenleben heute möglich ist.
Mit Werken von: Havîn Al-Sîndy, Maria Thereza Alves, Asche Lützerathi (otherhosted by Sybling – JP Raether & Sarah Friend), Joseph Beuys, AA Bronson, Johannes Büttner, Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise (Künstlerinnenbund Kongolesischer Plantagenarbeiterinnen, CATPC), Liu Chuang, Simon Denny, Jan Dibbets, Nir Evron, Simone Fattal, Ximena Garrido-Lecca, Jef Geys, Robert Gober, Dor Guez, Andreas Gursky, Christopher Kulendran Thomas, Mierle Laderman Ukeles, Richard Long, Boris Mikhailov, Gordon Matta-Clark, Lutz Mommartz, Grace Ndiritu, Simone Nieweg, Chris Reinecke, Ugo Rondinone, Thomas Ruff, Lin May Saeed, Shimabuku, terra0, Ron Tran, Franz West, Alex Wissel
Die Ausstellung Grund und Boden. Wie wir miteinander leben im K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen handelt vom menschlichen Zusammenleben: von Krieg, Vertreibung, Flucht und der Zerstörung der Natur, aber auch von Wiederaufbau und Regeneration, vom Wohnen, Pflanzen, Besitzen und Teilen. Sie lädt ein, Visionen für eine gerechte und nachhaltige Zukunft zu entwerfen. Die Ausstellung erstreckt sich über das gesamte K21 sowie den angrenzenden Ständehauspark und nimmt auch den Boden, auf dem das Museum steht – geografisch wie historisch – in den Blick. Ausgehend von der Parlamentsvergangenheit des Hauses, thematisieren 34 internationale Künstlerinnen und Kollektive unterschiedliche Formen der Verwaltung von Ressourcen – von indigenen Wirtschaftsweisen über kollektives Eigentum bis hin zu utopischen Blockchain-Projekten. Erde, Kohle, Lotusseide, Piniennadeln, Schokolade: Die Ausstellung geht in Material und Form ans Elementare. Sie spricht die Sinne ebenso an wie den Geist. Grund und Boden führt nach Brasilien, Korea, den Kongo, Japan, die USA, China, Peru, Vietnam, den Irak, Sri Lanka, den Nahen Osten und zurück nach Deutschland. Sie spürt den Fantasien libertärer Pionierinnen nach, die ihre eigenen Staaten gründen oder den Mars erobern möchten. Und sie blickt auf eine wichtige Grundlage des industriellen Wohlstands im Rheinland, die Kohle: Gleich mehrere Werke beschäftigen sich mit der Geschichte des Kohlebergbaus. Am letzten Tag führt eine Performance von Asche Lützerathi (umsorgt von JP Raether) nach Hambach, dem größten Braunkohletagebau Europas.

Selbstverwaltung: Freiheit vor 500 Jahren und heute
Im Zentrum steht die Frage der Selbstverwaltung. Vor 500 Jahren, zu Beginn des Buchdrucks und des Finanzkapitalismus, standen deutsche Bauern gegen Privatisierung und ein immer undurchsichtigeres Geflecht aus Pflichten und Abgaben auf. Alex Wissel befragt das Erbe des deutschen Bauernkriegs in Wandzeichnungen von Bauernprotesten damals und heute. Unter der Glaskuppel des K21 präsentiert Ugo Rondinone hunderte
vergoldete Werkzeuge, die im 19. Jahrhundert von Einwanderer*innen in New York geschnitzt und geschmiedet wurden. Nebenan erläutern in einer Videoinstallation von Maria Thereza Alves indigene Agroforst-Agentinnen, wie sie ohne Unterstützung der brasilianischen Regierung ein Waldgebiet im Amazonas von der Größe Brandenburgs verwalten. Ihre Methoden zeigen, wie Wachstum für alle Lebewesen möglich ist, wenn die Synergien der Natur genutzt werden. Grace Ndiritu lässt die Natur in einem Protestzug aus Tier- und Pflanzenkostümen auftreten. Teppiche zeigen historische Demonstrationen für Land- und für Frauenrechte. Meditationskissen reihen sich um die Abbildung eines Treffens der Artist Placement Group (1966–1989) mit Vertreterinnen aus Düsseldorfer Wirtschaft und Verwaltung 1971 in der Düsseldorfer Kunsthalle.
Ebenfalls in Düsseldorf besetzten im selben Jahr Chris Reinecke und Lutz Mommartz den Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Schauspielhaus und demonstrierten gegen von den Politik tolerierten Mietwucher. Mommartz‘ Film „Mietersolidarität“ zeigt eine Ansprache Reineckes gegen Spekulation mit „Grund und Boden“. Neben Reineckes Protestplakaten für die „Mietersolidarität“ werden auch ihre satirischen Entwürfe für selbstgebaute Siedlungen und Beete im Hofgarten gezeigt, der 1769 als erster öffentliche Park Deutschlands eröffnete. Im Ständehauspark wiederum, gegenüber dem K21, baut Havîn Al-Sîndy einen Raum des Lehmhauses neu auf, in dem sie in den Kurdischen Autonomiegebieten im Irak aufwuchs. Lehmhäuser sind eine der ältesten und meistverbreiteten Bauweisen. Sie sind buchstäblich aus dem Boden gebaut, auf dem sie stehen. Ximena Garrido-Lecca verwandelt indes basale Elemente von Hütten, wie sie seit den 1950er Jahren von Binnenflüchtlingen an Perus Küste errichtet wurden, in Skulpturen aus Kupfer – dem Rohstoff, dessen Abbau die Andenbevölkerung verarmen ließ.
Auch Liu Chuang blickt in seiner Dreikanal-Videoinstallation in die Berge, allerdings nach Südostasien, wo Bergvölker nach Jahrtausenden ihre Autonomie verlieren. Chuang vergleicht Bergvölker mit Blockchain-Minerinnen, die auf der Suche nach günstiger Energie mit den Jahreszeiten über das Land ziehen wie Zugvögel. Die Utopie einer Selbstverwaltung ohne Nationalstaat wird auch in einer saalfüllenden Videoinstallation von Christopher Kulendran Thomas entworfen. Angehörige der tamilischen Diaspora fragen hier nach dem Erbe des 2009 niedergeschlagenen tamilischen Unabhängigkeitskriegs in Sri Lanka und nach Alternativen zu den von Identitätsfragen geprägten Konflikten der Gegenwart.
Auf einer ehemaligen Palmölplantage des Unilever-Konzerns im Kongo wird die Utopie der Selbstverwaltung wahr: Hier arbeiten die Autodidaktinnen des Künstlerinnenbundes Kongolesischer Plantagenarbeiterinnen (CATPC) in Skulpturen aus Lehm das Erbe des Kolonialismus auf. Die Skulpturen werden 3D-gescannt, in Schokolade gegossen und auf dem Kunstmarkt verkauft. Vom Erlös haben CATPC bislang 20 Hektar Land renaturiert und ein lokales Museum gebaut. 2024 bespielten CATPC den Pavillon der Niederlande auf der Kunstbiennale von Venedig. Infolge des ersten digitalen Restitutionsversuchs via Blockchain erreichten CATPC die Ausleihe einer Holzfigur der Pende, die 1931 im Zusammenhang mit einem Aufstand gegen belgische Kolonialgewalt in ihrer Nähe entstand, aus dem Kunstmuseum Richmond, Virginia. Die Figur zeigt einen belgischen Offizier und ist ebenfalls in Grund und Boden ausgestellt. In einer handgezeichneten Karte liefern CATPC ein globales Bild von Ausbeutung und Warenströmen.

Eine Bilanz von Blockchain in der Kunst
Blockchain-Technologie spielt in vielen Werken eine Rolle. Grund und Boden ist auch eine Bilanz dieser wichtigen Tendenz in der Kunst der letzten 15 Jahre. Es wird deutlich, dass Blockchain zwar neue Ideen kollektiven Eigentums und dezentraler Verwaltung von Gütern hervorbrachte, für deren Realisierung aber inzwischen meist wieder auf staatliche Strukturen zurückgegriffen wird. terra0 etwa verwalten ein Waldbiotop in Brandenburg via Blockchain und deutschem Vereinsrecht und leisteten dafür in Abstimmung mit dem Finanzamt rechtliche Pionierarbeit. Sarah Friend und JP Raether entwerfen mit Sybling eine Sorgegemeinschaft aus Vereinen und GmbHs, die individuelles Eigentum überwinden soll. Simon Denny übersetzt digitale Grundstücksangebote in Metaversen in Landschaftsmalerei. Und Johannes Büttner reist mit der Kamera nach Liberland, einem selbsterklärten Kryptostaat zwischen Serbien und Kroatien, der für 10.000 US-Dollar in Bitcoin einen Pass und ein Stück Land ausgibt. Hier stößt Büttner auf Vereinnahmungen des Freiheitsbegriffs in libertärem Denken, wie es sich in der Krypto-Szene, im Silicon Valley und zuletzt in Regierungen in Argentinien oder den USA breitmacht: Hier bedeutet Freiheit, die Märkte vom Staat zu befreien, auch mit autoritären Mitteln. In einem Gespräch im Katalog vergleichen Büttner, Alex Wissel und die Historikerin Lyndal Roper von der Universität Oxford Freiheitsbegriffe und apokalyptisches Denken zur Zeit des Bauernkriegs und heute.
Kriege damals und heute
Die damals neue Gewaltdimension der Glaubenskriege im 16. Jahrhundert stellte Pieter Brueghel d.Ä. im „Triumph des Todes“ dar, in dem Skelette Menschen jagen. Ein Ausschnitt ist auf einer zwanzig Meter breiten Leinwand nachgemalt, die über der Piazza des K21 hängt. Sie stammt aus Alex Wissels Bühnenbild für die Götz von Berlichingen-Interpretation Eisenfaust des Regisseurs Jan Bonny am Schauspiel Köln (2025) und vervollständigt die oben genannten Wandzeichnungen. Die Szene lässt an heutige Kriege und Terrorangriffe denken. Dor Guez zeigt ein gepresstes Exemplar der Malvensorte Khobiza, die an der Levante wächst und wegen ihres hohen Nährstoffgehalts während Hungersnöten gegessen wird, wie aktuell von Guez‘ Verwandten in Gaza. Boris Mikhailovs Fotografien zeigen die sozialen Verwerfungen in der Ukraine nach der Unabhängigkeit. Und in einem neuen Film von Nir Evron erinnert sich der Boden selbst an die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und ihre Experimente mit Ersatzstoffen aus Kohle und dem kasachischen Löwenzahn unter Zwangsarbeit. In alldem strahlen Lin May Saeeds Darstellung der Sieben Schläfer von Ephesos, die von Gott in einen zweihundertjährigen Schlaf versetzt wurden um sie vor der römischen Christenverfolgung zu schützen, eine tiefe Ruhe und Geduld aus. Noch dazu sind hier Tiere und Menschen Teil einer gleichwertigen Gemeinschaft.
Das K21 und seine Geschichte als Volksvertretung
Die Ausstellung überbrückt weitentfernte Lebensrealitäten und verortet sich zugleich bewusst in der Düsseldorfer Wirtschafts- und Kunstgeschichte, mit Künstler*innen wie Havîn Al-Sîndy, Joseph Beuys, Andreas Gursky, Simone Nieweg, Chris Reinecke, Thomas Ruff und Alex Wissel. Sie verortet sich auch bewusst im Ort, an dem sie stattfindet. Das ehemalige Ständehaus am Kaiserteich war das erste gebaute Parlamentsgebäude im Rheinland. Seine historistische Neo-Renaissance-Architektur greift Elemente von vor 500 Jahren auf, der Zeit des Bauernkriegs und der Ausbildung der heutigen Wissens- und Wirtschaftsordnung. 1876 bis 1880 nach Plänen des späteren Berliner Dombaumeisters Julius Raschdorff erbaut, diente das Ständehaus als preußischer Provinziallandtag, in dem
die Ständevertreter regionale Fragen berieten. Von 1949 bis 1988 hatte hier der nordrheinwestfälische Landtag seinen Sitz. 2002 eröffnete das Haus grundsaniert und mit seiner ikonischen Glaskuppel als Museum für internationale Gegenwartskunst der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Es dient zugleich weiterhin als
Repräsentationsgebäude für die Landesregierung.

Alle Fotografien der Ausstellungsvorbesichtigung finden Sie in den SCHUBLADEN meines Archivs.
Alle Informationen zu der Ausstellung finden Sie auf der Zuhause-Seite der Kunstsammlung K21.