69 Selbstportraits von Annegret Soltau, vernäht mit ihrer persönlichen Suche nach ihrem Vater und ihrer Identität – Eine großartige Präsentation im MUSEUM GOCH noch bis zum 30.03.2025.

Inspiriert durch einen Bericht über die Ausstellung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Samstag, 11. Januar 2025, machte ich mich spontan auf den Weg in den Norden meiner Heimat, den Niederrhein. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt hielt der niederrheinische Nebel sich hartnäckig den ganzen Tag über. Mein Ziel war die Stadt Goch, eine im Stadtkern über zwanzigtausend Einwohner zählende Gemeinde, kurz vor der Landesgrenze zu den Niederlanden. Wie unser Rheinstrom führte auch die Niers, die sich fließend durch Goch schlängelt, ein beeindruckendes Hochwasser. Unmittelbar an der Niers liegt das Museum Goch.

Das Museum Goch zeigt noch bis zum 30. März die sehr persönliche und beeindruckende Arbeit der Künstlerin Annegret Soltau. Kurz nach dem Krieg 1944 in Lüneburg geboren wuchs sie als uneheliches Kind bei ihrer Großmutter in der Elbmarsch bei Hamburg auf. Über ihren leiblichen Vater erfuhr die in Darmstadt lebende Künstlerin auch von ihrer Mutter nichts. Ihre sie immer begleitende Frage, wer er war, motivierte sie zur Suche nach ihm. Ihre seit 1988 gesammelten Korrespondenzen mit verschiedensten Institutionen und Behörden verarbeitete sie zusammen mit zahlreichen Dokumenten letztlich in der jetzt präsentierten Arbeit.

„Als Ausgangsmaterial für meine künstlerische Arbeit“ erklärte Annegret Soltau 2010, „verwende ich die Dokumente meiner jahrelangen, erfolglosen Suche nach meinem verschollenen Vater. Die Arbeit besteht bisher aus 69 Selbstportraits. In meinem Gesicht habe ich die Original-Briefe der Behörden z.B. Rotes Kreuz, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. oder Deutsche Dienststelle für Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht eingenäht. Somit wird meinen Selbstportraits die ungelöste Schicksalsgeschichte infolge des 2. Weltkriegs förmlich ins Gesicht geschrieben, aber diese förmlichen Antwortschreiben bleiben wie eine leere Stelle in meinem Gesicht, wie ein weißer Fleck.“ – Galerie Anita Beckers, Portfolio Annegret Soltau, Frankfurt a.M. 2010

In den 1970er Jahren entwickelte Annegret Soltau unter dem Eindruck ihrer Arbeitserfahrungen bei einem Unfallarzt die Technik der Fotovernähung. Mittels der Werkzeuge einer Chirurgin operiert sie an den Verletzungen, die sie zuvor den Fotografien durch Zerreißen zugefügt hat. Das Nähen ist als Heilungsprozess zu verstehen. Im Gegensatz zur Collage durchdringt der Faden die verschiedenen Schichten und schafft eine dauerhafte, buchstäblich ins Fleisch gestochene Verbindung. Die Serie „Vatersuche“ ist ein Beispiel für diese Technik. Als einzige materielle Spuren der Existenz ihres Vaters vernäht sie die Dokumente, die sie auf ihrer Suche gesammelt hat, und zeichnet so das unsichtbare Band zu ihm nach.

Annegret Soltau nimmt uns durch ihre Arbeit nicht nur mit auf ihre persönliche Suche nach ihrem Vater. Wir spüren geradezu auch ihre Schmerzen nach, die durch vaterloses Aufwachsen verursacht werden, und den Aufwand, den es bedarf, Antworten zu finden auf die Fragen nach der eigenen Herkunft und der daraus resultierenden Identität.
Meine kleine Reise an den Niederrhein in das Museum Goch war eine äußerst beseelende kurzweilige Erfahrung. Es war auch eine Reise in meine eigene Vergangenheit, vermittelt durch die vertrauten Bilder der grauen Nebel über den winterlichen Wiesen und Wäldern. Und nicht zuletzt: ich war im Museum.

Alle Bilder meines Besuchs im Museum Goch finden Sie in den SCHUBLADEN meines Archivs genau hier.
Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Museum Goch gibt es hier.